Warum Klimabewegung und Gewerkschaften gemeinsam für eine antikapitalistische Perspektive kämpfen sollten

Sieben Thesen des Projekts »United for Fight – Klimagerechtigkeit und Arbeitskämpfe«

 

Nicht nur durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie steht die Welt vor einer gewaltigen Zuspitzung von Wirtschaftskrise und Klassenauseinandersetzungen. Gleichzeitig steigt die Bedrohung durch die zunehmende Klimakatastrophe rasant an. Der Kapitalismus befindet sich in einer globalen Vielfachkrise, die alle Bereiche der Gesellschaft und der Ökosphäre betreffen – wenn auch unterschiedlich stark. Trotzdem scheint das herrschende System so stabil, dass selbst eine so große Klimabewegung wie in der BRD keine substanziellen Erfolge erreichen konnte. Die Politik ändert sich nicht und dient weiter den Interessen der durchsetzungsstärksten Kapitalfraktionen.

Mit dem Projekt »Klimagerechtigkeit und Arbeitskämpfe« wollen wir dazu beitragen, dass Gewerkschaften und Klimabewegung im gemeinsamen Kampf die Macht aufbauen können, die es braucht, um den notwendigen Systemwechsel durchzusetzen. Durch Vernetzung und Bildungsangebote für Aktivist*innen aus Klima- und Gewerkschaftsbewegung wollen wir dazu beitragen, gemeinsame Handlungsfähigkeit herzustellen. Es ist Zeit, gemeinsam für eine klimagerechte Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung zu kämpfen, für eine Welt, in der alle Menschen ein gutes Leben führen können!

Im Folgenden benennen wir unsere theoretischen Ausgangspunkte, eine ausführliche Herleitung erfolgt an dieser Stelle nicht. Auch die praktischen Konsequenzen dieser theoretischen Grundlagen sind an dieser Stelle nur grob umrissen. Beides wird Inhalt andere Formate sein. Um gemeinsam politisch handeln zu können, halten wir eine umfassende Übereinstimmung mit den folgenden Thesen nicht für notwendig.

 

1. Der Kapitalismus beruht auf Ausbeutung und führt in die Klimakatastrophe

 

Die Klimakrise ist durch die kapitalistische Wirtschaftsweise bedingt. Sie zerstört die Lebensgrundlagen und bedroht damit die menschliche Zivilisation. Schon jetzt sind die Auswirkungen der Klimakrise in deutlich stärkerem Maß von denen zu spüren, die am wenigsten zu ihr beigetragen haben, sowohl global gesehen als auch innerhalb einzelner Staaten. Im Kapitalismus bestimmt die Profitorientierung, was unter welchen Bedingungen produziert und verteilt wird und nicht soziale Bedürfnisse oder ökologische Notwendigkeiten. Grundlage des Kapitalismus sind Eigentumsverhältnisse, in denen die meisten Produktionsmittel einem kleinen Teil der Gesellschaft gehören (kapitalistische Klasse), welche auf dem Markt untereinander in Konkurrenz steht. Demgegenüber muss der größte Teil der Gesellschaft seine Arbeitskraft verkaufen, um seine Lebensbedingungen zu erhalten (Arbeiter*innenklasse). Die arbeitenden Menschen bekommen jedoch nur einen Teil des Wertes, den sie mit ihrer Arbeit produzieren, als Lohn. Dieser Lohn, aber auch ökologische Maßnahmen bedeuten für die Kapitalseite vor allem Kosten und werden daher zwangsläufig so gering wie möglich gehalten und auf Mensch und Umwelt abgewälzt. Der Kapitalismus kann nur bestehen, wenn es ein permanentes Wachstum gibt. Das ist prinzipiell nicht kompatibel mit der Funktionsweise des Ökosystems. Einen »grünen Kapitalismus« kann es deshalb ebenso wenig geben wie einen »gerechten Lohn«. Die Lösung der sozialen wie auch der ökologischen Frage setzt daher die Überwindung des Kapitalismus voraus.

 

2. Wir können das Problem nicht lösen, wenn wir uns auf die Spielregeln des herrschenden Systems einlassen

 

Mit der ökonomischen Macht geht auch politische Macht einher: Das Handeln des bestehenden Staates ist von den Profitinteressen des Kapitals dominiert, seine Institutionen und Gesetze sind gemacht, damit die Ausbeutungsverhältnisse bleiben, wie sie sind. Die Vorstellung, den notwendigen Systemwechsel durch Kooperation mit den herrschenden Institutionen zu erreichen, ist eine Illusion. Wenn beispielsweise die Klimabewegung mit ausgefeilten Konzepten an runden Tischen mit Politiker*innen überzeugen will oder Gewerkschaftsfunktionär*innen »sozialpartnerschaftlich« mit den Konzernchefs verhandeln, werden immer wieder an den Profitinteressen des Kapitals scheitern. Die Bewegungen lassen sich durch Einbindungsstrategien vereinnahmen und akzeptieren damit die herrschenden Machtverhältnisse (Bsp. Kohlekommission). Politische und technische Konzepte für ein sozial und ökologisch verträgliches Wirtschaften gibt es schon. Es mangelt uns jedoch an Durchsetzungsfähigkeit, diese Konzepte umzusetzen, weil sie den Profitinteressen entgegenstehen. Die Durchsetzung von Klimagerechtigkeit und besseren Arbeitsbedingungen ist also eine Frage der Machtverhältnisse in den permanent stattfindenden Klassenauseinandersetzungen. Wer den Kapitalismus überwinden will, muss die Macht der kapitalistischen Klasse und des Staates brechen.

 

3. Unsere Macht liegt in der massenhaften Organisierung: Selbstermächtigend und antikapitalistisch

 

Wollen wir das kapitalistische System überwinden, brauchen wir eine eigene Machtbasis. Wirkungsvolle Gegenmacht liegt in der massenhaften Organisierung von Menschen, die gemeinsam gegen Ausbeutung und Umweltzerstörung kämpfen. Diese Organisierung muss ein Raum der Selbstermächtigung sein, in dem nicht Stellvertretungspolitik praktiziert wird, sondern viele Menschen kollektiv und solidarisch in Konfrontation Gegenmacht aufbauen. Durch ihre Stellung im Produktionsprozess haben die Lohnabhängigen mit Streiks die Möglichkeit, die Kapitalverwertung zu stoppen. Denn sie sind es, die die Produktion faktisch kontrollieren und auch das notwendige Wissen haben, anders zu produzieren. Diese Produktionsmacht ist die zentrale Machtdimension, die genutzt werden muss, um die (Eigentums-)Verhältnisse kapitalistischer Wirtschaft anzugreifen. Wenn Streiks nicht nur im Sinne des staatlich geregelten Streikrechts verstanden werden, sondern auch als politische Streiks bis hin zum Generalstreik, dann haben sie das Potenzial, das kapitalistische System zu überwinden. Dafür braucht es die Stärke einer organisierten und selbstermächtigten Arbeiter*innenklasse.

 

4. Klimabewegung und Gewerkschaften sollten voneinander lernen und gemeinsam kämpfen

 

Die Klimabewegung und die gewerkschaftliche Bewegung werden durchsetzungsstärker, wenn sie gemeinsame Interessen in den Vordergrund stellen und sich, dort wo es möglich ist, gegenseitig unterstützen und gemeinsame Kämpfe führen. Die Klimabewegung wird stärker, wenn sie Zugang zur Produktionsmacht der Beschäftigten erhält, weil durch Streiks höherer Druck auf die Konzerne und staatliche Institutionen ausgeübt und so auch politische Forderung durchgesetzt werden können. Arbeitskämpfe werden erfolgreicher sein, wenn sie nicht isoliert geführt werden, sondern andere gesellschaftliche Bewegungen einbeziehen. Sie können vom aktivistischen Potential der Klimabewegung und der Zusammenarbeit mit motivierten jungen Menschen profitieren. Die gegenseitige Unterstützung muss vor allem in konkreten Kämpfen stattfinden (und nicht nur auf diskursiver Ebene) und von der Basis der Bewegungen ausgehen (und nicht auf die jeweiligen Führungen fokussieren).

 

5. Klassenpolitik: Gemeinsame Interessen betonen, Unterschiede aushalten und Spaltungen überwinden

 

Nur eine gemeinsam kämpfende Arbeiter*innenklasse kann stark genug sein, um den Kapitalismus zu überwinden. Dabei dürfen feministische, antirassistische und andere Kämpfe für Emanzipation nicht vernachlässigt werden. Ihre Forderungen lassen sich nur vollends gegen kapitalistische Interessen durchsetzen. Gleichzeitig schwächen Spaltungen aufgrund von Arbeitsmarktstellung, aber auch durch Sexismus, Rassismus oder Nationalismus unsere gemeinsame Handlungsfähigkeit. Tatsächlich gibt es innerhalb der kapitalistischen Zwänge den Gegensatz zwischen Klimaschutz und Arbeitsplatzsicherheit. Für das Kapital macht es nämlich keinen Unterschied, wie der Profit erwirtschaftet wird und ob dabei Arbeitsplätze und damit ökonomische Existenzgrundlagen verschwinden. Solange die Profitorientierung einen ökologischen Umbau bestimmt, gibt es keine soziale Sicherheit für die Beschäftigten. In einigen Branchen sind diese Gegensätze größer und betreffen mehr Arbeiter*innen (z.B. Automobilindustrie) oder weniger (z.B. Kohleenergie). In anderen bestehen aber auch ähnliche Interessen (z.B. ÖPNV). Über die Grenzen des Kapitalismus hinaus gedacht bedeutet ein ökologischer Umbau jedoch trotz Reduzierung von stofflichem und energetischem Umsatz die Möglichkeit, mehr Lebensqualität für alle zu erreichen. Unsere politische Praxis muss daher eine Klassenpolitik sein, die vorhandene Spaltungen überwindet, gemeinsame Interessen in den Vordergrund stellt und zugleich in der Lage ist, Unterschiede und vorerst bestehende Gegensätze auszuhalten. Eine verbindende Klassenpolitik braucht inklusive und globale Solidarität und muss verschiedene Kämpfe gegen Ausbeutung und Unterdrückung zusammenführen.

 

6. Arbeitskämpfe mit radikalem ökologischem Umbau und postkapitalistischer Utopie verbinden

 

In der Praxis gilt es, an Alltagskämpfen und -bewusstsein der breiten Masse der Lohnabhängigen anzuknüpfen, also sie in ihren Arbeitskämpfen zu unterstützen. Diese Kämpfe lassen sich mit Forderungen eines radikalen ökologischen Umbaus verknüpfen. Sollen die Auseinandersetzungen das Potenzial haben zu einer klimagerechten Gesellschaft ohne Klassen, Ausbeutung und Unterdrückung zu führen, müssen sie mit der konkreten Utopie einer besseren Gesellschaft verbunden sein. Die Kämpfenden müssen eine Vorstellung davon haben, wie sie ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen demokratisch und solidarisch gestalten können, wie ihr Leben ohne den kapitalistischen Profitzwang aussehen würde. Ein zentrales Element auf diesem Weg ist die Enteignung und Vergesellschaftung der Produktionsmittel, um sie zur Bedürfnisbefriedigung aller einzusetzen statt zu Profitzwecken weniger.

 

7. Wir wollen durch Vernetzung und Bildung die gemeinsame Handlungsfähigkeit unterstützen

 

Das Hauptziel unseres Projektes ist es, die gemeinsame Handlungsfähigkeit von Gewerkschafts- und Klimaaktivist*innen bei Protesten, Arbeitskämpfen, Blockaden und Streiks zu fördern. Durch Austauschräume, Bildungsangebote und für die Praxis hilfreichem Handwerkszeug (Analysen, Argumente, Methoden) wollen wir zur Durchsetzungsstärke der potenziell antikapitalistischen und konfliktorientierten Teile der Klimabewegung und der Gewerkschaftsbewegung beitragen. Wir wollen bereits vorhandene Zusammenarbeit unterstützen und Impulse für gemeinsames Agieren bei Klima-Protesten und Arbeitskämpfen geben. Alle die Unterstützung zur Arbeit im Themenfeld »Klimagerechtigkeit und Arbeitskämpfe« suchen, in unserem Projekt mitarbeiten oder mit uns kooperieren möchten, sind herzlich eingeladen, Kontakt zu uns aufzunehmen.

 

Autor*innen: Benjamin Körner (Organizer und Sozialwissenschaftler) und Elisa Hüller (Klimaaktivistin und Psychologin) sind Referent*innen im Projekt »Klimagerechtigkeit und Arbeitskämpfe«.